Positionspapier der EVP-Fraktion: Eine Europäische Gesundheitsunion

01.07.2020

Positionspapier der EVP-Fraktion: Eine Europäische Gesundheitsunion

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Wenn man jemandem alles Gute zum Geburtstag oder zum Jahreswechsel wünscht, heißt es − wie auch schon vor der COVID-19-Krise − zum Schluss meist: „... und vor allem Gesundheit“.

„Gesundheit ist Reichtum“, sagt man, und das zu Recht. Das ausgehende Jahr 2020 war durch eine globale Pandemie gekennzeichnet, der weltweit Hunderttausende erlegen sind. Die Pandemie hat alle Mitgliedstaaten getroffen. Auch wenn es vielen von ihnen gelungen ist, das Infektionsgeschehen einzudämmen, gibt COVID-19 unverändert Anlass zu großer Besorgnis, und daran wird sich wohl auch nichts ändern, bis ein wirksamer Impfstoff gefunden wird.

COVID-19 hat uns deutlich gemacht, dass wir Gesundheit viel stärker zu einem zentralen Anliegen der europäischen Politik machen müssen. Die EVP-Fraktion ruft zur raschen Schaffung einer Europäischen Gesundheitsunion auf.

1. Die christdemokratische Weltsicht

Getreu ihren christdemokratischen und humanistischen Wurzeln orientiert sich die EVP-Fraktion in ihrem Handeln stets am Wohlergehen jedes Einzelnen, d. h. am physischen, psychischen und sozialen Wohlergehen aller Bürgerinnen und Bürger. Daher stand das Wohlergehen aller Europäerinnen und Europäer für die christdemokratischen Gründerväter im Zentrum europäischer Politik. Die Förderung des Wohlergehens ist seitdem − gemeinsam mit der Förderung des Friedens und unserer Grundwerte − eines der drei in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Hauptziele der EU.

Wir als Christdemokraten sind vor allem fest davon überzeugt, dass die Menschen eine bessere Zukunft gestalten können. So wie Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker das Leben von Millionen von Europäerinnen und Europäern erleichtern, können das unserer Auffassung nach auch gute politische Ansätze und Maßnahmen. Wir wollen den medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritt gestalten. Wir glauben an eine bessere Zukunft. Wir stehen zu wissenschaftlichen Ergebnissen und Fortschritten und wir möchten, dass Europa das Wohlergehen aller Menschen unter gezielter Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse verbessert.

Christdemokraten glauben an eine Gesellschaft, die Bedürftige unterstützt. Für uns ist medizinischer Fortschritt nicht einfach ein weiteres Geschäftsmodell. Für uns ist medizinischer Fortschritt schlicht notwendig, um den Alltag aller zu verbessern, je nach Einkommen, Bildungsgrad oder Herkunftsregion in Europa. Wir vertrauen zudem auf die Fähigkeit des Einzelnen, sich zu entwickeln, etwas zu schaffen und zum Wohlergehen aller beizutragen, ohne zurückgehalten oder bevormundet zu werden. Eine Gesellschaft, in der jeder Einzelne integriert und dennoch frei ist.

Wir wissen den Nutzen von Innovation zu schätzen und treffen unsere Entscheidungen auf wissenschaftlicher Grundlage. Wir wissen, dass Technologie den Menschen dienen muss und nicht umgekehrt. Andererseits dürfen wir uns neuen technischen Möglichkeiten wie Apps, Big Data, künstlicher Intelligenz (KI) und personalisierter Medizin aber auch nicht verschließen. Im Gegenteil: Wir wollen, dass Europa vorangeht und diese neuen Trends selbst aktiv gestaltet. Bei Innovationen geht es für uns vor allen Dingen um den Menschen. Medizinischer Fortschritt muss fest in einem klar auf den Menschen bezogenen Wertesystem verankert sein.

Wir als Christdemokraten vertreten eine eindeutige Haltung hinsichtlich des europäischen Potenzials im Gesundheitssektor: Wir stehen an der Seite unserer Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt beispielsweise für die Bekämpfung von Krebs. Für uns sind die Werte, die Größe und die Bereitschaft Europas, sich für stärkere Innovation einzusetzen und das erlangte Wissen in der gesamten Wissenschaftsgemeinde zu teilen, Grundvoraussetzungen dafür, dass wir durch die Bekämpfung der Bedrohung durch Krebs die Lebensbedingungen aller Europäerinnen und Europäer verbessern können. Diese Werte müssen uns auch im Bemühen leiten, allen Europäerinnen und Europäern Zugang zu hohen Standards der Gesundheitsfürsorge zu garantieren.

Medizin beruht immer auf vorhandenem Wissen. Daher machen wir uns Massendaten (Big Data) bestmöglich zunutze, und Forscher und Ärzte können dank KI unter direktem Zugriff auf Datenbestände raschere und exaktere Prognosen treffen. Uns ist vollauf bewusst, dass Technologie im Gesundheitsbereich Leben retten kann.

Wir wissen auch, dass große medizinische Herausforderungen wie Seuchen oder Pandemien nur gemeinsam bewältigt werden können. Daher ist uns daran gelegen, dass wir in Europa und über unseren Kontinent hinaus zusammenarbeiten. Durch faire Handelsabkommen möchten wir Fachkräfte des Gesundheitswesens zusammenbringen, um unser Wissen besser verbreiten zu können und um Netzwerke zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Europa und darüber hinaus zu schaffen.

Außerdem möchten wir, dass Europa all jenen entschieden entgegentritt, die versuchen, Pandemien, Seuchen oder andere Gesundheitsrisiken zur Durchsetzung von Machtinteressen zu missbrauchen. Wir kämpfen gegen Falschinformation und dagegen, dass Länder wichtige Informationen über die Bekämpfung von Seuchen und Pandemien zurückhalten. Wir werden unsere wirtschaftliche Stärke in die Waagschale werfen und grundsätzlich Sanktionen verhängen, wenn ein Land das Leben von Europäerinnen und Europäern dadurch gefährdet, dass es uns falsch oder überhaupt nicht informiert oder falsches Spiel angesichts einer Pandemie treibt. Das Management von Gesundheitsrisiken wird ein Eckpfeiler einer wahrhaft christdemokratischen zukunftsorientierten Sicherheitsarchitektur sein.

Wir glauben an eine Europäische Union, die alle Europäerinnen und Europäer respektiert, schützt und unterstützt. Wir glauben an eine Europäische Union, die Innovationen ermöglicht und vorantreibt und unser aller Leben verbessert.

Unsere Union ist auch eine Gesundheitsunion, in der sich politisches Handeln vor allem an den Menschen orientiert.

Die individuellen Bedürfnisse von Frauen und Männern müssen bei allen gesundheitspolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden.

Die Europäische Union ist auch eine Union, die der Welt jenseits ihrer Außengrenzen weiter offen gegenübersteht. Wir stehen für die internationale Zusammenarbeit, damit Europa von medizinischen Fortschritten profitieren und zu medizinischen Fortschritten beitragen kann. Durch wissenschaftliche und medizinische Zusammenarbeit entsteht eine Win-win-Situation, die für unsere Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen von Vorteil sein kann. Und wir vertreten diese Haltung im Bewusstsein, dass Europa im Rahmen unserer Entwicklungshilfe eine globale Verantwortung zur Förderung der öffentlichen Gesundheit auch in anderen Teilen der Welt trägt. Wir müssen dazu beitragen, die Resilienz und die Bereitschaft der Gesundheitssysteme von Partnerländern zu verbessern. Wesentliche Voraussetzung dafür wird die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften des Gesundheitswesens sein. Wir müssen sicherstellen, dass die humanitäre und gesundheitspolitische Reaktion der EU auf die COVID-19-Krise nicht missbraucht wird, um Ideologien und politische Agenden voranzutreiben.

Die COVID-19-Krise hat gezeigt, dass die EU eine robuste Gesundheitspolitik braucht, damit ihre Bürgerinnen und Bürger die Vorteile einer globalisierten und vernetzten Welt in vollem Umfang genießen können.

Diese gesundheitspolitische Orientierung wollen wir auf EU-Ebene stärken. Wo nötig müssen der EU die richtigen Instrumente an die Hand gegeben werden, damit sie sich zu einer wirksamen Gesundheitsunion entwickeln kann. Voraussetzung dafür sind:

ein Europa, das respektiert,
ein Europa, das schützt und unterstützt, und
ein Europa, das Innovation vorantreibt und neue Wege beschreitet, um unser aller Leben zu verbessern.

2. Zuständigkeiten und Verantwortung

Grenzen Halt machen und warum eine besser abgestimmte europäische Reaktion erforderlich ist.

Die Mitgliedstaaten sind weiterhin für viele Bereiche der Gesundheitspolitik zuständig. Die Kommission hat aber sehr viel mehr Möglichkeiten, als sie bisher nutzt.

Im AEUV (Artikel 168) bzw. in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 35) heißt es: „Bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt“, und „[d]ie Kommission geht in ihren Vorschlägen nach Absatz 1 in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau aus und berücksichtigt dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen. Im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse streben das Europäische Parlament und der Rat dieses Ziel ebenfalls an“, (Artikel 114), um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts voranzutreiben. Im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse streben das Europäische Parlament und der Rat dieses Ziel ebenfalls an“ (Artikel 114), um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts voranzutreiben.

Im AEUV wird eine wesentliche Funktion der Union ausdrücklich betont: „Die Tätigkeit der Union [...] ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit gerichtet. Sie umfasst die Bekämpfung der weit verbreiteten schweren Krankheiten, wobei die Erforschung der Ursachen, der Übertragung und der Verhütung dieser Krankheiten sowie Gesundheitsinformation und -erziehung gefördert werden; außerdem umfasst sie die Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren.“ (Artikel 168)

Im Rahmen dieser Zuständigkeiten setzt sich die EU für die Verbesserung der menschlichen Gesundheit (z. B. durch Öffentlichkeitskampagnen gegen Tabak, Alkohol, Übergewicht und Drogenmissbrauch), die Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsbedrohungen (z. B. Antibiotikaresistenzen), die Prävention und das Management menschlicher bzw. tierischer Krankheiten (z. B. BSE/Rinderwahnsinn), die Minderung von Risiken für die menschliche Gesundheit (z. B. Vorschriften im Bereich des Lebensmittelrechts und die REACH-Verordnung) und die Harmonisierung von Gesundheitsstrategien der Mitgliedstaaten (z. B. Mobilität von Fachkräften des Gesundheitswesens sowie von Patientinnen und Patienten) ein. Die Einrichtung spezialisierter Agenturen wie der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sind Ausdruck des zunehmenden gesundheitspolitischen Engagements der EU. Das EU-Gesundheitsprogramm „EU4Health“ mit einem vorgeschlagenen Haushalt von 9,4 Mrd. EUR ist ein deutliches Anzeichen für die immer wichtigere Rolle der EU in der Gesundheitspolitik.

Ungeachtet all der bisher auf EU-Ebene geleisteten Arbeit besteht im Rahmen der Verträge noch erheblicher Raum für ein weitaus stärkeres Engagement der Europäischen Union in der Gesundheitspolitik. Die in den Verträgen vorgesehenen Bestimmungen im Gesundheitsbereich werden im Hinblick auf die Zwecke, denen sie dienen könnten, nach wie vor sehr unzureichend genutzt. Die Union hat Befugnisse, die ihr weiter reichende Maßnahmen ermöglichen würden. Die Inanspruchnahme der Richtlinie über die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung beispielsweise, die nach Maßgabe der Richtlinie über den freien Dienstleistungsverkehr angewendet und mit der eine Angleichung der maßgeblichen Rechtsvorschriften angestrebt wird, sollte effizienter geregelt werden, um bestehende Hindernisse für die grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung auszuräumen.

Beispielsweise wird allgemein anerkannt, dass der Zugang zu grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung und eine bessere Koordinierung und Förderung bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Vorteile mit sich bringen könnten.

Andererseits werden die finanziellen Ressourcen für Gesundheitssysteme bekanntlich weiterhin größtenteils von den Mitgliedstaaten verwaltet und zahlreiche Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten wahrgenommen. Eine ambitionierte europäische Gesundheitspolitik sollte diese Tatsachen respektieren und keine Erwartungen wecken, die nie erfüllt werden können. Nicht alle Vorhaben im Gesundheitsbereich können durch ein umfangreicheres Gesundheitsprogramm der EU finanziert werden, und wegen des Subsidiaritätsprinzips können nicht alle guten Ideen auf europäischer Ebene verwirklicht werden. Wir sind jedoch entschlossen, auf eine wesentlich stärkere Gesundheitspolitik der EU hinzuarbeiten und alle erforderlichen Maßnahmen zu unterstützen, die mit einem eindeutigen Mehrwert für die EU verbunden sind und u. a. darauf abzielen, die Fragmentierung des Binnenmarkts für Gesundheitsdienstleistungen zu verringern.

Unser Europa beruht auf Subsidiarität und Solidarität. Beispielsweise weiß jede einzelne Region viel besser als Brüssel, wo und wie das örtliche Krankenhaus oder medizinische Zentrum zu führen ist. Und die Politiker in den Mitgliedstaaten wissen am besten, wie die medizinische Versorgung und das Gesundheitssystem auf nationaler Ebene zu organisieren sind. Dagegen ist bei grenzüberschreitenden Bedrohungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können, und bei der Regulierung von Produkten in unserem gemeinsamen Binnenmarkt mit Blick auf die Förderung von Innovation und die Eindämmung von Gesundheitsbedrohungen sowie bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsfürsorge und in vielen anderen Bereichen europäisches Handeln der beste Ansatz. Wir müssen uns nicht auf eine einzige Ebene beschränken, sondern können auf verschiedenen Ebenen denken und handeln. Für uns stehen die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt, und wir vertrauen fest auf ein besseres, widerstandsfähigeres und durch Subsidiarität und Solidarität gekennzeichnetes Europa.

Zu Beginn der Pandemie kam es infolge der mangelnden Abstimmung zu konkreten Problemen wie der Schließung von Binnengrenzen oder der Lähmung des Binnenmarkts bei erheblich erschwerter Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern (u. a. mit Arzneimitteln). Aus diesem Grund appellieren wir daran, aus Erfahrungen zu lernen und einen besser koordinierten Ansatz zu entwickeln, bei dem die EU mit echten und wirksamen Kompetenzen ausgestattet wird, die für die Staaten in gegenwärtigen und künftigen Krisen mit einem zusätzlichen Nutzen verbunden sind.

Das Europäische Parlament hat betont, dass die Pandemie nicht vor Grenzen oder Ideologien Halt macht sowie dass die gesamte internationale Gemeinschaft angesichts der Pandemie zusammenarbeiten und sich solidarisch zeigen muss und dass das System der Vereinten Nationen und insbesondere die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestärkt werden müssen. Die EVP-Fraktion vertritt daher die Auffassung, dass alle betroffenen Parteien, einschließlich Taiwans, in die Sitzungen, Mechanismen und Aktivitäten der WHO einbezogen werden sollten, insbesondere während dieser globalen Krise der öffentlichen Gesundheit.

3. Neue Gegebenheiten

Demografische Trends, die Herausforderungen durch den Klimawandel, der Zugang zu Innovationen, ein besserer Zugang zu Behandlungen für alle, die hohe Prävalenz chronischer Krankheiten, die Digitalisierung (eHealth) und das Erfordernis der Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen haben bereits dazu geführt, dass der Gesundheitspolitik auf EU-Ebene größere Aufmerksamkeit zukommt. Diesen Herausforderungen muss durch ein abgestimmtes Vorgehen auf EU-Ebene begegnet werden, da sie alle Mitgliedstaaten betreffen und keine Ländergrenzen kennen.

Diese Entwicklungen lassen sich nicht mehr zurückdrehen, und sie werden den Wandel, der sich ohnehin vollzieht, nur beschleunigen. Wir müssen uns der bestehenden sozialen und geografischen Kluft in der Gesundheitsversorgung bewusst sein und einen gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Gesundheitsfürsorge in ganz Europa sicherstellen.

In ihren jüngsten Empfehlungen zum Europäischen Semester hat die Europäische Kommission Bedenken hinsichtlich der unmittelbaren und langfristigen Resilienz der nationalen Gesundheitssysteme beim Umgang mit künftigen Notfallszenarien geäußert und festgestellt, dass die COVID-19-Pandemie bestehende strukturelle Probleme im Hinblick auf die Zugänglichkeit, die Wirksamkeit und die Resilienz nationaler Gesundheitssysteme offengelegt hat. In diesem Zusammenhang werden die Unterfinanzierung der Gesundheitsversorgung sowie die unzureichende Primärversorgung und Abstimmungsdefizite konstatiert.

Diese Krise hat zudem die Bedeutung einer evidenzbasierten Gesundheitspolitik vor Augen geführt. Dies gilt für Initiativen in den Bereichen Behandlung und Prävention gleichermaßen. Präventivmaßnahmen sollten verhältnismäßig sein und das beste Ergebnis für die Gesundheit gewährleisten.

4. COVID-19, der letzte Aufruf zu Veränderungen

COVID-19 hat zur Verhängung beispielloser Beschränkungen zum Schutz unserer Gemeinschaften geführt und unsere Gesundheitssysteme erheblich unter Druck gesetzt.

Die EVP-Fraktion dankt allen, die an vorderster Front kämpfen: Ärzten, Krankenschwestern und Krankenpflegern und sonstigen Pflegekräften sowie Reinigungskräften und den jeweiligen Familien.

Trotz der hohen Sterblichkeit und ungeachtet der mangelnden Abstimmung wurde viel erreicht: Die EMA hat den Prozess der Zulassung eines Impfstoffs bzw. Arzneimittels beschleunigt, und die Europäische Kommission finanziert mehr als 100 Forschungsteams in ganz Europa und auch die ersten klinischen Prüfungen von COVID-19-Impfstoffen in der Europäischen Union. Wir haben flexibel reagiert und alle verfügbaren Haushaltsmittel mobilisiert, um der Krise zu begegnen. Das Europäische Parlament hat weniger als zwei Wochen nach dem entsprechenden Vorschlag der Europäischen Kommission einer befristeten Änderung der Verordnung über Medizinprodukte zugestimmt, um während der gegenwärtigen Pandemie Störungen bei der Versorgung mit wichtigem Material innerhalb des Binnenmarkts zu minimieren. Die Kommission hat Leitlinien und finanzielle Unterstützung für die Behandlung von COVID-19-Patientinnen und -Patienten in anderen Mitgliedstaaten beschlossen, in denen die Behandlungskapazitäten erschöpft waren, und zwei Mechanismen (rescEU und das gemeinsame Beschaffungsverfahren) mobilisiert, um für Mitgliedstaaten mit dem dringendsten Bedarf zusätzliche Ausrüstung beschaffen zu können. Und nicht zuletzt hat die Europäische Union gemeinsam mit globalen Partnern einen großen Spendenmarathon initiiert − die weltweite Coronavirus-Krisenreaktion. Wir begrüßen nachdrücklich die von der Europäischen Kommission angenommene EU-Impfstrategie und werden uns für deren rasche Umsetzung einsetzen.

Wir sind uns jedoch alle einig darüber, dass das nicht genug ist. Es muss wesentlich mehr getan werden, um diese akute Krise zu bewältigen und auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein.

Die EVP-Fraktion ist der festen Überzeugung, dass Europa diese Krise nur durchstehen kann, wenn die europäische Familie solidarisch und verantwortungsvoll zusammensteht. Wir alle müssen etwas tun. Indem wir uns gegenseitig unterstützen. Indem wir einander vertrauen. Indem wir Abstand halten, um gefährdete Personen zu schützen.

Die Lockerung mancher Einschränkungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie ist gerechtfertigt, damit wirtschaftliche Aktivitäten und das soziale Leben wieder aufgenommen werden können, wo dies möglich ist. Dies gilt auch mit Blick auf unsere Kinder, deren schulische Ausbildung fortgesetzt werden muss. Allerdings sind wir auch sehr besorgt darüber, dass eine vorschnelle Aufhebung der Maßnahmen zu einer zweiten Erkrankungswelle führen und unsere Gesundheitssysteme an ihre Belastungsgrenzen bringen könnte. Durch die steigenden Zahlen an COVID-19-Patientinnen und -Patienten, die in Krankenhäusern behandelt werden müssten, würden zudem Fachkräfte des Gesundheitswesens und ihre Familien weiteren Belastungen ausgesetzt. Viele Menschen sterben in der Pandemie vorzeitig, und Fachkräfte des Gesundheitswesens gelangen psychisch und physisch an ihre Grenzen. Die Aufhebung von Einschränkungen sollte nur schrittweise und EU-weit abgestimmt erfolgen. Soziale Distanzierung, persönliche Schutzausrüstung, flächendeckende Tests und Kontaktverfolgungen sollten dabei eine wesentliche Rolle spielen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen bereit sein, regional erneut Einschränkungen zu verfügen, wenn Experten für öffentliche Gesundheit dies für erforderlich halten.

Die Realität hat uns gezeigt, dass wir diese Krise durch isoliertes Handeln nicht bewältigen können. Ebenso wenig hilft es, nationale und europäische Zuständigkeiten gegeneinander auszuspielen. Erfolgreich werden wir nur durch Zusammenarbeit sein.

5. Aufruf der EVP-Fraktion zum Handeln

Wir entwickeln Strategien zur Aufhebung der mit der COVID-19-Krise verbundenen Maßnahmen, während die Wirtschaft sich erholt und das gesellschaftliche Leben sich normalisiert. Vor diesem Hintergrund hat die EVP-Fraktion mit einer umfassenden Aufarbeitung der ersten Erfahrungen aus der Pandemie begonnen. Dabei wurden die Gesundheitspolitik in den Mittelpunkt gerückt und die Handlungsoptionen innerhalb des geltenden institutionellen Rahmens maximiert:

  1. Die EVP-Fraktion unterstützt nachdrücklich das Konzept der Berücksichtigung des Gesundheitsaspekts in allen Politikbereichen („Health in All Policies“ − HIAP) sowie die uneingeschränkte Umsetzung dieses Konzepts angesichts des bereichsübergreifenden Charakters der öffentlichen Gesundheit, und ist bestrebt, die Einbeziehung von Gesundheitsaspekten in alle einschlägigen Politikbereiche, wie Landwirtschaft, Verkehr, internationaler Handel, Forschung, Umwelt und Klima, zu erreichen.
  2. Im neuen mehrjährigen Finanzrahmen sollte Gesundheit ein absoluter Schwerpunkt in allen relevanten Haushaltslinien sein − von den Strukturfonds über den Europäischen Sozialfonds bis hin zum Forschungsbereich. Die EVP-Fraktion begrüßt den Vorschlag zur Einrichtung des Programms „EU4Health“ und unterstützt ein finanziell besser ausgestattetes eigenständiges, robustes und ambitioniertes Gesundheitsprogramm zur Bewältigung künftiger Pandemien und Gesundheitsbedrohungen. Gegenstand dieses Programms werden auch die mit einer alternden Bevölkerung verbundenen Herausforderungen sowie die Prävention von Krankheiten, die Förderung einer gesunden Lebensweise in einer gesunden und nicht toxischen Umwelt, die Vorbereitung unserer Gesundheitssysteme auf neu aufkommende Technologien und die Sicherstellung von Gesundheitskompetenz sein. Die EVP-Fraktion weist darauf hin, dass auch die Kohäsionspolitik der EU ein Instrument zur Bewältigung der Krisenfolgen sein wird. Die EVP-Fraktion fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Gesundheitsversorgung im Rahmen der Kohäsionspolitik stärker zu berücksichtigen, da Investitionen benötigt werden, um einen gleichberechtigten Zugang zu Einrichtungen des Gesundheitswesens in ganz Europa zu gewährleisten. Die EVP-Fraktion verpflichtet sich, auf eine zügige Einigung über den Vorschlag der Kommission und eine rasche Umsetzung hinzuarbeiten.
  3. Die EVP-Fraktion ruft zur Einrichtung eines speziellen EU-Fonds auf, um die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, ihre Krankenhausinfrastruktur und ihre Gesundheitsdienste unter Gewährleistung der höchsten Standards in den Bereichen Versorgung und Behandlung, gesundheitswissenschaftliche Forschung und Innovation zu stärken. Die EVP-Fraktion ruft zur Schaffung eines europäischen Netzwerks von Pandemie-Fachkliniken in allen EU-Regionen auf, um Überbelegungen von Krankenhäusern zu vermeiden. Dieses Netzwerk von Fachkliniken sollte für die Gesundheitsversorgung ebenso zuständig sein wie für die Forschung und die Förderung des Austauschs bewährter Verfahren.
  4. Die Gesundheitsforschung (von der Grundlagenforschung bis zur translationalen Forschung) ist wesentlich für die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. In Europa ist die Gesundheitsforschung allerdings stark fragmentiert. Wünschenswert wären größere Synergien der Forschungstätigkeit in den Mitgliedstaaten. Entschlossenes Handeln ist auch im Hinblick auf die Nutzung von Datenmaterial aus der Gesundheitsforschung erforderlich. Mit einem geschlechterbasierten Ansatz in der klinischen Forschung müssen zudem die potenziell unterschiedlichen Auswirkungen möglicher Impfstoffe oder Behandlungen bei Frauen und Männern verstärkt untersucht werden. Die EVP-Fraktion unterstützt die Einrichtung eines EU-Gesundheitsakademie-Netzwerks im Rahmen eines europäischen globalen Gesundheitsplans mit mindestens einem (Universitäts-)Krankenhaus pro Mitgliedstaat, das als nationaler Knoten für die Verbreitung der Ergebnisse europäischer Spitzenforschung in der Medizin und für die fortschrittlichsten medizinischen Fortbildungen fungiert. Dieses EU-Gesundheitsakademie-Netzwerk sollte einen obligatorischen, regelmäßigen Informationsaustausch, das Erlernen bewährter Verfahren und den Austausch von Personal umfassen. Es wird entscheidend dazu beitragen, durch die Förderung weiterer Synergien sowie durch Unterstützung der Forschungszusammenarbeit auf Ebene der Mitgliedstaaten und durch bessere gemeinsame Nutzung technologischer Ressourcen und Infrastrukturen seitens der biomedizinischen Forschungsgemeinschaft die Fragmentierung der Gesundheitsforschung in Europa zu überwinden. Außerdem sollte das Netzwerk die Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit neuen und aufkommenden Krankheiten darüber informieren, welche Mitgliedstaaten sich auf welche medizinischen Fachgebiete spezialisiert haben.
  5. Einige Mitgliedstaaten haben dadurch Solidarität bewiesen, dass sie die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verlagerung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäuser anderer Mitgliedstaaten mit freien Behandlungskapazitäten geschaffen und die grenzüberschreitende Mobilität von Fachkräften des Gesundheitswesens unterstützt haben. Diese Mobilität wird durch die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ermöglicht und hat sich auch in dieser Krise als eines der ganz wesentlichen Elemente der Freizügigkeit erwiesen. Die EVP-Fraktion unterstützt die Stärkung dieses Instruments durch die einschlägigen Leitlinien. Die EVP-Fraktion befürwortet eine weitere Abstimmung zwischen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, um überlastete Einrichtungen vorübergehend entlasten zu können. Dringend benötigt wird eine Neuauflage des im Jahr 2020 auslaufenden Aktionsplans für Arbeitskräfte im Gesundheitswesen in der EU, der unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der Pandemie Fachkräften des Gesundheitswesens einen neuen geeigneten, strategischen und operationellen Rahmen bietet – auch im Zusammenhang mit ihrer grenzüberschreitenden Mobilität −, da dies für die Einrichtungen, in denen sie tätig sind, von entscheidender Bedeutung sein wird, insbesondere in Notsituationen wie einer Pandemie. Die Richtlinie über die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung muss besser umgesetzt werden, insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung desEuGH, in der zentrale Konzepte wie Patientenmobilität, Erstattungsverfahren und vorherige Genehmigungen geklärt wurden. In dieser Hinsicht sollte das Potenzial der Europäischen Referenznetzwerke durch eine effizientere Nutzung besser ausgeschöpft werden. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten eine einfachere und klarere Regelung für vorherige Genehmigungen in Betracht ziehen.
  6. Die Mitgliedstaaten und die Grenzregionen sollten ihre grenzübergreifende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ohne administrative Hindernisse wirksam und finanziell nachhaltig vertiefen, u. a. indem in Grenzgebieten ansässigen Patientinnen und Patienten Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen beiderseits der Grenzen gewährt wird. Vereinbarungen zwischen Krankenhäusern sollten unterstützt werden, damit durch grenzüberschreitende Notfalldienste Leben gerettet werden können.
  7. Der Pandemieausbruch durch das neuartige COVID-19-Virus hat uns gezeigt, dass wir im Hinblick auf Impfstoffe und Therapien die finanzielle Unterstützung für die Abstimmung von Anstrengungen in Wissenschaft und Forschung weiter verstärken müssen und dass die Zulassung von Arzneimitteln und Impfstoffen weiter gestrafft werden muss, ohne jedoch gesundheitliche Risiken einzugehen. Wir werden uns immer für technologischen Fortschritt bei der Entwicklung von Impfstoffen und Therapien einsetzen. Im Rahmen dieses Ansatzes begrüßen wir regulatorische Flexibilität, wenn diese in Krisenzeiten erforderlich ist, damit klinische Versuche zügig und sicher vorangetrieben werden können. Ungeachtet der Wahrung des Vorsorgeprinzips darf die Entwicklung von Impfstoffen und Therapien nicht durch unbegründete Skepsis gegenüber bestimmten Technologien behindert werden. Wir müssen uns nach Kräften um die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen bzw. die Einführung von Therapien in der EU sowie um die allgemeine Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit im Rahmen der gemeinsamen Vergabe öffentlicher Aufträge auf EU-Ebene bemühen, um ihre Verteilung bzw. Anwendung unter unseren Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten. Wir vertrauen auf Dialog und Zusammenarbeit. Falls ein Impfstoff aber zunächst außerhalb Europas entwickelt werden sollte und Dritte nicht bereit sein sollten, uns daran teilhaben zulassen, haben wir auch einen Plan B. Es wäre rechtlich beispielsweise möglich, sogenannte Zwangslizenzen durchzusetzen. Dabei sollten die EU-Mitgliedstaaten jedoch gemeinsam vorgehen. Statt einzelner Länder sollte die Europäische Kommission das Vorgehen und die Abstimmung auf EU-Ebene organisieren. Auch Handelsmaßnahmen sollten in Betracht gezogen werden, um dafür zu sorgen, dass Arzneimittel und Impfstoffe in der EU und darüber hinaus allen zugänglich gemacht werden. Die von der Europäischen Kommission angewendeten gemeinsamen Vergabeverfahren zur Beschaffung medizinischen Materials haben sich in der Krise bewährt und sollten daher auf den Bereich Arzneimittel und medizinisches Material ausgedehnt werden. Ungeachtet aller Anstrengungen in der Impfstoffforschung und der entsprechenden klinischen Prüfungen sind auch antivirale Medikamente von entscheidender Bedeutung.
  8. Für die Zukunft sollten wir die Gründung öffentlich-privater Partnerschaften in der EU etwa nach dem Beispiel der Biomedical Advanced Research and Development Authority in den Vereinigten Staaten in Erwägung ziehen, um bei ähnlichen Krisen schneller reagieren zu können.
  9. Antibiotikaresistenzen sind ein ernsthaftes globales Gesundheitsrisiko und stellen auch für das Wohlergehen europäischer Bürgerinnen und Bürger ein hohes Risiko dar, das sich zu einer fundamentalen Herausforderung für unsere europäischen Gesundheitssysteme und Gesellschaften entwickeln wird. Zahlen der WHO zufolge sterben jährlich 33 000 Menschen in Europa, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Die EVP-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass dieses Thema in der europäischen Gesundheitspolitik mit absoluter Priorität behandelt wird, u. a. indem mehr Finanzmittel für die dringend benötigte einschlägige Forschung bereitgestellt werden. Daher unterstützen wir die strikte Anwendung europäischer Rechtsvorschriften auch im Veterinärbereich. Zusätzlich zur Überwachung befürworten wir im Rahmen der One-Health-Initiative die Verwendung von Benchmarks sowie eine kontinuierliche Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika in der Veterinärmedizin. Wir sind überzeugt, dass die Verwendung von Antibiotika auch beim Menschen reduziert werden muss. Die Mitgliedstaaten müssen dringend durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen, dass Antibiotika auch in der Humanmedizin verantwortungsvoll verschrieben werden und dass die Krankenhaushygiene verbessert wird. Wir fordern die Kommission auf, die im Rahmen europäischer Rechtsvorschriften bestehenden Möglichkeiten zu prüfen, wenn auf nationaler Ebene unangemessenes Verhalten festgestellt wird. Von zentraler Bedeutung ist für uns die Schaffung eines Rahmens zur Förderung von Innovation bei der Entwicklung neuer Antibiotika, da für die Patientinnen und Patienten dringend neue Produkte benötigt werden. Selbst bei zurückhaltender Verwendung brauchen wir neue Wirkstoffe, wenn wir nicht plötzlich damit konfrontiert werden wollen, dass keines der bekannten Antibiotika mehr anschlägt und wir in ein post-antibiotisches Zeitalter eintreten. Für die Pharmaindustrie sind Investitionen in diesem Bereich derzeit nicht attraktiv, da der Einsatz neu entwickelter Antibiotika aus guten Gründen reglementiert werden wird. Daher müssen Anreize wie bei Arzneimitteln zur Behandlung seltener Krankheiten oder in der Kinderheilkunde oder neue, innovative Anreize geschaffen werden.
  10. Eine der effektivsten Maßnahmen für einen wirkungsvollen europäischen globalen Gesundheitsplan ist eine Stärkung der Prävention. Daher befürworten wir die Entwicklung eines einheitlichen kohärenten europäischen Impfkalenders für Kinder, ältere Menschen und alle gefährdeten Gruppen der europäischen Bevölkerung.
  11. Europäische Industrie: Die EVP-Fraktion begrüßt die Förderung von EU-weit tätigen Unternehmen, die Intensivierung von Innovationen sowie der Produktion in der EU, die Verringerung der Abhängigkeit der EU von Drittländern durch die Diversifizierung von Lieferketten und die Aufstockung der einschlägigen Produktionskapazitäten, insbesondere für Desinfektionsmittel, Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung, sowie die Zusammenfassung und Koordinierung digitaler Produktionsverfahren (z. B. 3D-Druck), die zur Herstellung der benötigten Ausrüstung genutzt werden können. Ferner befürwortet die EVP-Fraktion eine EU-Handelspolitik, deren Schwerpunkt auf offener strategischer Autonomie liegt, die die Diversifizierung und Widerstandsfähigkeit von Lieferketten zur Gewährleistung der weltweiten Verfügbarkeit von Medizinprodukten fördert, die auf einem offenen, regelbasierten multilateralen Handelssystem beruht, und die durch einen Fonds zur strategischen Diversifizierung der Lieferketten ergänzt wird, über den unsere Unternehmen aktiv unterstützt werden. Die EVP-Fraktion empfiehlt allen Ländern, dem WTO-Übereinkommen zur Beseitigung der Zölle auf Arzneimittel beizutreten, und ruft nachdrücklich dazu auf, dessen Geltungsbereich auf alle Arzneimittel und Medizinprodukte auszuweiten. Sie ist der Auffassung, dass die EU ein belastbares europäisches IP-System unterhalten muss, das FuE sowie die Herstellung in Europa unterstützt, um sicherzustellen, dass Europa ein innovativer und weltweit führender Kontinent bleibt.
  12. Eine florierende und technisch fortgeschrittene europäische Gesundheitsindustrie und eine wettbewerbsfähige Forschungsgemeinschaft sind von wesentlicher Bedeutung. Dazu werden ein ambitionierter und klarer Rechtsrahmen für europäische Unternehmen sowie eigene Ressourcen für die Wissenschaft und die Gesundheitsforschung benötigt.
  13. Die EVP-Fraktion vertritt die Auffassung, dass die EU über Kapazitäten zur raschen Reaktion verfügen sollte, damit sie in abgestimmter Weise auf schwerwiegende Gesundheitsbedrohungen reagieren kann, insbesondere auf Pandemien, die sich auf einem durch Freizügigkeit und ausgeprägten Verkehr gekennzeichneten Kontinent besonders leicht ausbreiten. Die Situation zu Beginn des COVID-19-Lockdowns, als die Lieferung lebensnotwendiger Güter einschließlich Schutzausrüstungen und medizinischen Materials auf nationaler Ebene blockiert oder innerhalb des Binnenmarkts nicht möglich war, darf sich nicht wiederholen. Die EVP-Fraktion ruft zur Einführung eines „Aktionsplans für Gesundheitsautonomie“ auf, um kritische/grundlegende Arzneimittel und pharmazeutische Produkte sowie wichtiges medizinisches Material in der EU in ausreichender Menge herzustellen und zu lagern und dadurch übermäßige Abhängigkeit von Lieferanten in Drittländern zu vermeiden. Um die Reaktionskapazitäten der EU und der Mitgliedstaaten in gesundheitlichen Notlagen auszuweiten, schlägt die EVP-Fraktion eine Überprüfung und Aktualisierung des EU-Rechtsrahmens für gesundheitliche Notlagen auf der Grundlage der Erfahrungen aus dieser Pandemie vor. Durch ein Schnellinformationssystem könnten die Mitgliedstaaten sich gegenseitig unmittelbar und unverzüglich über Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln informieren und gegebenenfalls einen Mechanismus zur Lokalisierung verfügbarer ausreichender Bestände auslösen.
  14. Arzneimittelknappheit stellt eine wachsende Bedrohung für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Europas und für die europäischen Gesundheitssysteme dar. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen entschieden handeln, um solche Knappheiten zu vermeiden und ihre Auswirkungen abzuschwächen. Im Hinblick auf Änderungen der Versorgungslage hat die Coronakrise uns eine gewisse Verletzlichkeit des derzeitigen europäischen Systems der Beschaffung von Medizinprodukten und pharmazeutischen Wirkstoffen aus Ländern außerhalb Europas vor Augen geführt. Wichtig ist, dass Schritte für einen besseren und längerfristigen Dialog zwischen Regulierungsbehörden und der Industrie unternommen werden, damit der Datenaustausch verbessert wird und möglicher Mangel in Zukunft zeitiger prognostiziert wird. Um diesem Problem besser begegnen zu können, fordert die EVP-Fraktion eine intensivere europäische Abstimmung und einen besseren Informationsaustausch. Wir befürworten eine stärkere Diversifizierung der Versorgung und der Lieferketten, um die Verfügbarkeit und die Zugänglichkeit von Arzneimitteln und medizinischem Material zu gewährleisten. Europa muss umgehend einen Aktionsplan entwickeln, um der Knappheit an grundlegenden/lebensrettenden Arzneimitteln zu begegnen und eine strategische Bevorratung von Arzneimitteln und medizinischem Material zu unterstützen und in Krisenzeiten interne und externe Störungen des Binnenmarkts zu verhindern. Wir fordern größere Transparenz in der Produktions- und Vertriebskette von Medizinprodukten sowie die Schaffung einer europäischen Einheit für Krisenprävention und Krisenmanagement. Wir sind verpflichtet, im Interesse der Patientinnen und Patienten die Versorgung sicherzustellen. Dabei sollte der Preis nicht mehr das zentrale Ausschreibungskriterium sein. Vielmehr sollten auch Qualitätskriterien wie etwa die Anzahl der Standorte, die Produktionsstätten und die Einhaltung von Sozial-, Umwelt-, Elektronik- und Qualitätsstandards berücksichtigt werden.
  15. Die EVP-Fraktion tritt für eine stärkere Berücksichtigung der Gesundheit im gegenwärtig hauptsächlich auf die Bereiche Verkehr und Energie beschränkten Europäischen Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen (European Programme for Critical Infrastructure Protection, EPCIP) ein, damit kritische Gesundheitsinfrastrukturen in Europa ermittelt und benannt werden und die Kommission beim Schutz dieser Infrastrukturen in den Mitgliedstaaten stärker einbezogen wird. Daher spricht sich die EVP-Fraktion nachdrücklich dafür aus, über das Programm „EU4Health“ Investitionen in kritische Gesundheitsinfrastrukturen, Instrumente, Strukturen, Prozesse und Laborkapazitäten einschließlich Instrumenten zur Überwachung, Modellbildung, Prognose und Prävention sowie zum Management von Ausbrüchen zu fördern. Die EVP-Fraktion unterstützt die Einführung einer neuen Arzneimittelstrategie, in der u. a. der Aktionsplan für Gesundheitsautonomie in einen dauerhaften Ansatz zur Gewährleistung der Sicherheit der Arzneimittelversorgung überführt und die Abhängigkeit der EU von Drittländern bei der Beschaffung von wichtigen Arzneimitteln und medizinischem Material beispielsweise durch vereinfachte Verfahren reduziert wird, ohne die Sicherheit und die Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Außerdem sind die Herausforderungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit unserer Gesundheitssysteme zu berücksichtigen. Diese neue Arzneimittelstrategie muss mit der von der Europäischen Kommission initiierten neuen Industriestrategie koordiniert werden. Voraussetzung für eine echte Europäische Gesundheitsunion ist eine abgestimmte Haltung.
  16. Um eine bessere europäische Reaktion auf die Pandemie und ein wirksameres Management des neuen Programms „EU4Health“ zu ermöglichen, unterstützt die EVP-Fraktion eine Stärkung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Control, ECDC) und die weitere Ausgestaltung zu einer vollwertig ausgestatteten Europäischen Gesundheitsagentur, einschließlich eines Frühwarn- und Reaktionssystems mit jeweils einer ECDC-Behörde in allen Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang sollte die Wissenschaftsgemeinde grenzüberschreitende Maßnahmen einführen und die Koordinierung einer europäischen Pandemiereaktion übernehmen. Das Zentrum sollte dabei als Koordinierungszentrum für die öffentliche Gesundheit fungieren können. Über die Zuständigkeiten im epidemiologischen Bereich hinaus sollte das erweiterte ECDC einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgen und auch Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen einbeziehen, wenn Strategien und „gesundheitsbezogene Sequenzanalysen“ zur Abschwächung epidemiologischer Bedrohungen oder Krisen entwickelt werden. Wir verlangen eine dringend notwendige Evaluierung des EU-Beschlusses zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und fordern die Kommission auf, möglichst umgehend Änderungen vorzuschlagen, die sie für erforderlich hält. Um einen kohärenteren Ansatz für die Reaktion auf Pandemien zu unterstützen, fordern wir die Kommission ferner auf, die Möglichkeit einer Verordnung anstelle eines Beschlusses in Betracht zu ziehen und zu prüfen, ob dies mit den Verträgen vereinbar wäre. Die EVP-Fraktion vertritt zudem die Auffassung, dass die EMA auch für die Vermeidung von Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln und auf die entsprechende Überwachung zuständig sein sollte.
  17. Digitale Lösungen wie eHealth verbessern den gesamten Lebenszyklus der Gesundheitsfürsorge, von der Prävention über die Diagnose bis zur Behandlung. Die EVP-Fraktion unterstützt die Nutzung von KI, Datenanalysen und anderen auf Hochleistungsrechnern beruhenden Instrumenten wie die Einrichtung einer Plattform für EU-Gesundheitsdaten und eines EU-Datenzentrums für die Koordination von Notfallmaßnahmen, auf das sich die EU bei der Sammlung von Daten, der klinischen Einführung, der Erkennung von Verhaltensmustern und Strömen von Menschen und wichtigen Produkten sowie bei analytischen Prognosen stützen kann. Außerdem befürwortet die EVP-Fraktion die Schaffung der elektronischen Patientenakte und eine Verbesserung der einschlägigen Interkonnektivität der Mitgliedstaaten sowie die Entwicklung gemeinsamer EU-Standards für die Sammlung und Analyse von Daten zur Schaffung eines gemeinsamen Datenpools. Wir sind überzeugt, dass die Weiterentwicklung eines Rahmens für Anwendungen in den Bereichen eHealth und mHealth auf der Vertrauenswürdigkeit dieser Anwendungen, dem Schutz personenbezogener Daten und einer weiteren Entwicklung der digitalen Gesundheitskompetenz innerhalb der EU beruhen sollte. Daten sind auch für die Entscheidungsfindung sowie für medizinische Bildgebungsverfahren, eine evidenzbasierte Politik, klinische Prüfungen, Forschung und Entwicklung und die Pandemievorhersage von Bedeutung. Die EVP-Fraktion ist von der Bedeutung der Ethik und der Notwendigkeit des Schutzes der Privatsphäre sowie von Sicherheit und Vertrauen bei der Weitergabe personenbezogener Daten überzeugt. Wenn die Weitergabe personenbezogener Daten so erfolgt, dass sie bei den Patientinnen und Patienten keine Vorbehalte erzeugt, wird sie in der Gesundheitsversorgung und bei innovativen Behandlungen einen auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Mehrwert ermöglichen (beispielsweise durch die Nutzung personenbezogener genetischer Informationen). Die Verwendung von Apps auf freiwilliger Basis in einem dezentralen Speichersystem sollte unterstützt werden.
  18. Innerhalb der EU bestehen erhebliche Unterschiede in der Kapazität der Gesundheitssysteme hinsichtlich der Verfügbarkeit medizinischer Fachkräfte. In Regionen mit zu wenig medizinischen Fachkräften ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung schlechter, es gibt lange Wartelisten für die Patienten, die Gesundheitssysteme haben eine geringere Resilienz, und der Gesundheitszustand der Bevölkerung verschlechtert sich. Die EU sollte Maßnahmen zur Abschwächung dieser Auswirkungen ergreifen, um in der gesamten EU eine Gesundheitsversorgung mit angemessenen Humanressourcen zu gewährleisten. Die EU stützt sich auch auf Fachkräfte des Gesundheitswesens aus Ländern außerhalb der EU. Dadurch können allerdings die Gesundheitssysteme in deren Herkunftsländern geschwächt werden.
  19. Über 30 Millionen Europäerinnen und Europäer leiden an seltenen und vernachlässigten Krankheiten. Sie wissen nur wenig über ihre Erkrankungen und ihre Rechte. Es gibt nur wenige Behandlungsmöglichkeiten, und die Betroffenen sind erheblichen psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt. Seltene und vernachlässigte Krankheiten machen an den Grenzen nicht Halt. Die europäische Zusammenarbeit und Koordinierung im Hinblick auf seltene und vernachlässigte Krankheiten sind entscheidend dafür, dass Patienten unabhängig von ihrem Mitgliedstaat Zugang zum besten verfügbaren Expertenwissen ermöglicht wird. Die Entwicklung lokaler und grenzüberschreitender Lösungen für Personen mit einer seltenen Krankheit und für deren Angehörige ist von großer Bedeutung für die Verbesserung ihrer Lebensqualität im näheren Wohnumfeld. Daher müssen wir für Patienten mit seltenen und vernachlässigten Krankheiten einen leichten Zugang zum besten verfügbaren Expertenwissen gewährleisten, indem wir europäische Netzwerke einrichten und klare Regeln für Kostenerstattungen im grenzüberschreitenden Kontext entwickeln. Außerdem brauchen wir mehr Investitionen in die Erforschung vernachlässigter Krankheiten, für die häufig noch keine Behandlung oder Diagnoseverfahren verfügbar sind. Wir müssen ausreichende Mittel für die biomedizinische Erforschung derartiger Krankheiten bereitstellen, um klinische Prüfungen durchführen und Diagnosetests und wirksame Behandlungen anbieten zu können.
  20. Die psychischen Folgen von COVID-19 werden in vielen Berichten und Studien hervorgehoben. Die zur Unterbrechung von Infektionsketten erforderliche soziale Isolation über einen langen Zeitraum beeinträchtigt Menschen aller Altersgruppen. Fachkräfte des Gesundheitswesens bewältigen die zunehmende Belastung durch die Versorgung von COVID-19-Patienten, während sie sich gleichzeitig um ihre eigene Gesundheit und die ihrer Familien sorgen. Die EVP-Fraktion fordert die Europäische Kommission auf, einen EU-Aktionsplan für psychische Gesundheit in Europa für den Zeitraum 2021−2027 zu entwickeln, um den erheblichen psychischen Problemen in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Der Aktionsplan sollte Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Bedeutung der psychischen Gesundheit beinhalten. Er sollte zudem eine Informationskampagne enthalten, um die Bürgerinnen und Bürger darüber aufzuklären, was sie unter diesen neuen Bedingungen für ihre psychische Gesundheit tun und an wen sie sich gegebenenfalls wenden können.
  21. Dringende Maßnahmen sind erforderlich, um den Gesundheits- und Pflegebedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden. Dass sehr viele ältere Menschen in Pflegeheimen an COVID-19 gestorben sind, muss dringender Anlass für eine Überprüfung der Pflege sein. Wir unterstützen das Recht älterer Menschen, selbst über ihre Pflege zu entscheiden, einschließlich der Möglichkeit, weiterhin mit häuslicher Unterstützung in ihrer Wohnung zu leben und erforderlichenfalls Zugang zu hochwertiger Pflege in Pflegeheimen zu erhalten. Die EVP-Fraktion ruft zur Entwicklung eines Aktionsplans für gesundes Altern auf, um die Lebensqualität älterer Menschen einschließlich einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu verbessern. Angesichts der mit der Pflegetätigkeit einhergehenden sozialen Auswirkungen infolge beruflicher Veränderungen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes, insbesondere für Frauen, die unverhältnismäßig häufig Pflegeverantwortung übernehmen, fordert die EVP-Fraktion für pflegende Angehörige die Annahme einer europäischen Strategie für Personen, die pflegebedürftige Angehörige betreuen. Diese europäische Strategie für Personen, die pflegebedürftige Angehörige betreuen, sollte die unterschiedlichen Gegebenheiten bei der Erbringung von Pflegeleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigen, Finanzmittel für kritische Infrastrukturen bereitstellen und sicherstellen, dass sowohl die Pflegenden als auch die Pflegebedürftigen in den Rahmenbedingungen für die Gesundheitsversorgung und für die Pflege im Allgemeinen angemessen berücksichtigt werden.
  22. Im Zusammenhang mit COVID-19 ist wichtig, dass andere Krankheiten nicht vergessen werden. Aufgrund von COVID-19 mussten medizinische Ressourcen für die Bewältigung der Pandemie gebündelt werden. Daher waren für die übrige medizinische Versorgung und für die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen nur noch geringe Kapazitäten verfügbar. Vor diesem Hintergrund fordern wir größere Anstrengungen und eine intensivere Zusammenarbeit in Bezug auf die beiden häufigsten Todesursachen in EU-Ländern: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Wichtig ist aber auch die Berücksichtigung chronischer Erkrankungen und der erheblichen Auswirkungen dieser „stummen Killer“ sowohl auf die Patientinnen und Patienten als auch auf die Finanzlage der öffentlichen Gesundheitssysteme. Die Gefährdung durch Corona hat sich auch für Risikopatienten als äußerst kritisch erwiesen, beispielsweise für Diabetiker, Übergewichtige und Menschen mit Mehrfachdiagnosen, die häufig an Komorbiditäten leiden. Die wissenschaftliche Forschung sollte sich auf die Entwicklung von Behandlungsverfahren für diese und andere lebensverändernde Krankheiten konzentrieren. Kontinuierliche Investitionen in die Wissenschaft zur Behandlung verschiedener Krankheiten sind unerlässlich für die Aufrechterhaltung moderner und sicherer Gesundheitssysteme.
  23. Krebs tötet jedes Jahr neun Millionen Menschen. In Europa gibt es in jeder Familie Krebserkrankungen. Wir begrüßen nachdrücklich, dass sich nun auch die Europäische Kommission und der Rat gemeinsam zur schwerpunktmäßigen Bekämpfung von Krebs bekennen, die die EVP-Fraktion schon seit zwei Jahren fordert. Wir treten für einen echten Masterplan zur Bekämpfung von Krebs zur Bündelung unserer Forschungsanstrengungen sowie unserer Ressourcen und Erfahrungen ein. Mit der frühzeitigen Prävention sowie mit Diagnosen, Behandlungsverfahren und der Versorgung bis hin zur Stärkung der Rechte von Menschen, die Krebserkrankungen überlebt haben, ist eindeutig ein zusätzlicher Nutzen für Europa verbunden.
  24. In unserem Positionspapier zu Krebs fordern wir die Umsetzung des Vorschlags zur Bewertung von Gesundheitstechnologien. Dies war der einzige gesundheitsbezogene Vorschlag der Juncker-Kommission, und es wäre ein äußerst armseliges Signal, wenn sich Europa nach der Coronakrise nicht auf diesen Vorschlag einigen könnte. Dieser Ansatz wird dringend benötigt, um Bürokratie abbauen und Patienten besser helfen zu können. Der Vorschlag zur Bewertung von Gesundheitstechnologien sollte erneut geprüft werden, um die Zusammenarbeit bei der Bewertung neuer Therapien zu verbessern und doppelten Verwaltungsaufwand zu vermeiden.
  25. Ungeachtet aller Anstrengungen zur Stärkung des Systems der Pharmakovigilanz sind weitere Verbesserungen im Hinblick auf die Patientensicherheit erforderlich. Insbesondere muss die Lesbarkeit von Beipackzetteln verbessert werden. Beipackzettel müssen klarer, lesbarer und für die Patienten verständlicher gestaltet werden. Die EVP-Fraktion befürwortet eine patientenfreundlichere Gestaltung von Beipackzetteln mit einer „Faktenbox“, in der die wichtigsten Informationen und Nebenwirkungen des jeweiligen Arzneimittels beschrieben werden. Die Faktenbox sollte grafisch hervorgehoben werden, und der Text sollte verständlich geschrieben sein.
  26. Patientenvereinigungen tragen wesentlich zur Vertretung von Patienteninteressen bei und helfen sicherzustellen, dass die Wünsche und Bedürfnisse von Patienten bei Gesetzgebungsverfahren und sonstigen Konsultationen auch auf europäischer Ebene berücksichtigt werden. Dabei ist finanzielle Unabhängigkeit von großer Bedeutung, damit die Patientenvereinigungen ihre wichtige Arbeit leisten und ihre Interessen ohne unmittelbare Unterstützung aus der Industrie vertreten können. Wir möchten sicherstellen, dass an Gesetzgebungsverfahren beteiligte Patientenvereinigungen tatsächlich die Interessen der Patienten vertreten und nicht von finanzieller Unterstützung durch Unternehmen abhängig sind.
  27. Gesundheit und Steuern: Die EVP-Fraktion unterstützt nachdrücklich die Idee, die Erzeugung und den Verbrauch europäischer Agrarerzeugnisse, die zu einer gesunden Lebensweise beitragen, zu fördern, beispielsweise indem die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, unter anderem für Obst und Gemüse spezielle Mehrwertsteuersätze festzulegen.
  28. Gesundheit, Information, Transparenz und Desinformation: Impfung ist der Schlüssel für eine gute öffentliche Gesundheit. Schutzimpfungen mit hohen Impfquoten in Europa haben erheblich zur Tilgung bzw. zum Rückgang vieler Infektionskrankheiten beigetragen. Leider sind Impfungen aber Opfer ihres eigenen Erfolges. Der Trend zur Impfmüdigkeit erfüllt uns mit Besorgnis, und wir warnen vor den gesundheitlichen Folgen. Aufklärungs- und Sensibilisierungsprogramme in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene sind wichtig für die Bekämpfung von Falschinformationen über die Bedeutung von Impfstoffen für die öffentliche Gesundheit. Die EVP-Fraktion fordert daher, die Vorzüge von Impfungen mit Aufklärungsprogrammen und Öffentlichkeitskampagnen auf EU-Ebene zu betonen, die aus dem Programm „EU4Health“ finanziert werden sollten. Die Europäische Kommission muss die Koordinierung der politischen Maßnahmen und Programme der Mitgliedstaaten intensivieren. Die Europäische Union sollte umfassender und professioneller über ihre Maßnahmen und Pläne informieren, um das allgemeine Verständnis für die Aktionen der EU zu fördern.
  29. Gesundheit und internationale Zusammenarbeit: Die Förderung eines gesunden Lebens und des Wohlergehens von Menschen jeden Alters ist ein wesentliches Anliegen im Rahmen der Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung. Mehr als je zuvor hat die Pandemie der Welt gezeigt, dass kein Land eine globale Notsituation alleine bekämpfen kann und dass es im Hinblick auf die Prävention ebenso wie bei der Reaktion und der Überwindung der Folgen auf eine vertiefte Koordinierung und Kohärenz sowie auf Solidarität mit internationalen, globalen Gesundheitsorganisationen ankommt. Daher rufen wir von der EVP-Fraktion zu einer intensiveren, klarer formulierten und auf einer langfristigen Vision basierenden Zusammenarbeit mit der WHO und mit allen internationalen Behörden auf, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen, indem sie die Gesundheitssicherheit in den Mittelpunkt rücken. Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, Nachbarländer und Entwicklungsländer solidarisch bei der Stärkung ihrer Gesundheitssysteme zu unterstützen. Die EU muss sicherstellen, dass geförderte Organisationen Maßnahmen im Einklang mit humanitären Grundsätzen durchführen und dass bereitgestellte Finanzmittel nicht zur Förderung von Konzepten und Praktiken eingesetzt werden, die international anerkannte Menschenrechte und die Menschenwürde verletzen oder im Widerspruch zur Identität sowie zu den religiösen Überzeugungen, den kulturellen Traditionen, den Werten und dem Leben lokaler Gemeinschaften stehen. Die EVP-Fraktion schlägt die Einrichtung eines jährlichen europäischen „wissenschaftlichen Pandemiegipfels“ als europäische Veranstaltung für die Pharmaindustrie sowie für Entscheidungsträger und andere relevante Interessenträger vor.
  30. Handelsmaßnahmen sollten in Betracht gezogen werden, um die Verfügbarkeit und die ungehinderte Verteilung von Arzneimitteln, Impfstoffen, persönlicher Schutzausrüstung, medizinischen Geräten und dafür benötigten Teilen in der EU und weltweit zu gewährleisten. Die EU sollte durch die Diversifizierung von Einfuhren von pharmazeutischen Wirkstoffen, medizinischen Gütern und Rohstoffen die strategische Autonomie und die zunehmende Resilienz ihrer Lieferketten sicherstellen. Sie sollte verstärkt ausländische Direktinvestitionen prüfen, um strategische Industriezweige des Gesundheitswesens vor Übernahmen durch ausländische Investoren zu schützen. Trotzdem gilt es, weiterhin zur traditionellen klaren Verpflichtung der EU zum freien Handel zu stehen und nicht in Protektionismus zu verfallen und die Rückführung der Produktion von Arzneimitteln in die EU zu erzwingen. Die letztgenannten Maßnahmen wären für die Gesundheitssysteme der EU weder kosteneffizienter noch nachhaltiger als ein auf Anreizen beruhender Ansatz. Mit Ländern außerhalb der EU, in denen sich große in europäischem Eigentum stehende Produktionsstätten zur Herstellung von Arzneimitteln und pharmazeutischen Wirkstoffen befinden, sollte ein offener Dialog eingeleitet werden, um eine zuverlässige Versorgung der Bürgerinnen und Bürger der EU sicherzustellen.

 

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