Erdogan: Wahl gewonnen -Traum geplatzt?

11.08.2014 12:15

Erdogan: Wahl gewonnen -Traum geplatzt?

Wichtiger Hinweis

Die hier geäußerten Meinungen sind Ansichten der nationalen Delegation und entsprechen nicht immer den Ansichten der ganzen Fraktion

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Zum Ergebnis der türkischen Präsidentschaftswahl äußert sich die Türkei-Expertin der CDU/CSU im Europäischen Parlament, Dr. Renate Sommer MdEP, wie folgt:

"Heute muss man dem designierten Staatspräsidenten der Türkei, Erdogan, zu seinem Wahlerfolg gratulieren. Er selbst dürfte das Stimmergebnis allerdings mit gemischten Gefühlen betrachten. Einerseits ist die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang ein Traumergebnis. Schaut man jedoch hinter die Zahlen, könnte andererseits Erdogans Traum einer Alleinherrschaft in einem mit umfassendsten Machtbefugnissen ausgestatteten Präsidentenamt schon bald endgültig zerplatzen. Tatsächlich hat Erdogan keine Wähler dazugewonnen. Und dies trotz seines riesigen Wahlkampfbudgets, der Instrumentalisierung des Staatsfernsehens, der Bedrohung kritischer Journalisten und Medien und der unglaublich teuren Wahlmöglichkeit für Auslandstürken. Das Wahlergebnis ist wesentlich der geringen Wahlbeteiligung geschuldet, die mit 72,9 % immerhin 16% unter derjenigen der letzten Kommunalwahl lag. Dies ist nicht nur auf die Ferienzeit zurückzuführen. Ganz offensichtlich blieben viele Oppositionelle der Wahl fern. Der wenig bekannte gemeinsame Kandidat der beiden größeren Oppositionsparteien war kein Zugpferd und für die Anhänger der rechtsgerichteten MHP auch viel zu gemäßigt. Letztere dürften daher teilweise sogar für Erdogan gestimmt haben. Diese Wähler werden bei der Parlamentswahl aber anders entscheiden. Und von der nächsten Parlamentswahl hängt es ab, ob Erdogan seinen allumfassenden Machttraum verwirklichen kann. Eine erneute absolute Mehrheit der regierenden AKP, die eine entsprechende Änderung der türkischen Verfassung garantieren würde, ist nun sehr konkret infrage gestellt. Die Vorsitzenden von CHP und MHP hatten mit Ihsanoglu einen eher schwachen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt, um ihre eigenen innerparteilichen Machtpositionen nicht zu gefährden. Bei der Parlamentswahl treten sie selbst an. Hinzu kommt das beeindruckende gestrige Wahlergebnis von 9,71 % der kurdischen HDP mit Selahattin Demirtas. Das kratzt an der 10%-Zugangshürde zur Großen Türkischen Nationalversammlung.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für Erdogan ist der scheidende Staatspräsident Gül. Früher engste Verbündete, sind die Machtmenschen Erdogan und Gül nun Konkurrenten. Sicher ist, dass das gestrige Wahlergebnis Gül in dem Sinne den Rücken gestärkt hat, dass Erdogan ihn nun nicht mehr ausbooten kann. Es wird nicht mehr reichen, blasse Marionetten als neuen AKP-Vorsitzenden und Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu nominieren, unter dem Motto: 'Es ist mir egal, wer unter mir regiert'. Der Erfolg der AKP bei der Parlamentswahl erfordert einen starken, profilierten Kandidaten. Und der wiederum dürfte nicht bereit sein, alle Macht an einen Sultan abzutreten."

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